"OHNE SIE …

würde ich den Verein zumachen“

VEREINSBERATERIN KARIN SCHULZE KERSTING FRAGT SICH, OB VORSTANDSAUFGABEN EIGENTLICH IMMER EHRENAMTLICH GESTEMMT WERDEN MÜSSEN. UND FINDET EINE KLARE ANTWORT: „ICH BEOBACHTE EINE TENDENZ ZUR HAUPTBERUFLICHKEIT. EINE HALBE ODER EINE GANZE STELLE, DIE DIE UMSETZUNG DER STRATEGIE KOORDINIERT UND SICH SELBST FINANZIEREN MUSS.“ WIR NEHMEN DEN FADEN AUF UND BLICKEN IN DIESER AUSGABE AUF DIE ENTLASTUNG DES EHRENAMTES DURCH BEZAHLTE MITARBEIT.

„Silke und Heike sind mit uns gewachsen. Beide sind absolute Glücksfälle für uns, motiviert und mittlerweile sehr versiert.“ Ah, da weiß jemand, was er an seinen Geschäftsstellen-Mitarbeiterinnen hat! Holger Schmidt, Vorstand der BSG Dülmen, stellt sie vor: „Silke arbeitet 28 Stunden die Woche in unserer Geschäftsstelle. Sie ist seit zehn Jahren bei uns und hat sich so fortgebildet, dass es für sie passt. Sie hat die Ausbildung zum‚ Vereinsmanager*in C‘ sowie die Qualifikation zur Geschäftsführerin absolviert. Heike unterstützt uns hauptberuflich seit acht Jahren. Sie ist quasi ‚Sportwartin‘ und Ansprechpartnerin für die bezahlten und die ehrenamtlichen Übungsleitungen, außerdem unser Backup für die Büroarbeit.“
Mit zwei Personen, die jeweils in Teilzeit arbeiten, hat der Verein deutlich mehr Arbeit ausgelagert als üblich, weiß Schmidt. Das ist nötig: Der Verein hat rund 770 Breitensport-Mitglieder, zusätzlich etwa 300 RehaSportler*innen. Darum ist seine Verwaltung immens aufwändig. „Wir verzeichnen pro Jahr eine dreistellige Fluktuation. Und es ist kompliziert: Menschen, die bei uns Sport treiben, können Mitglieder mit Verordnung oder ohne Verordnung sein oder Mitglieder mit einer Verordnung für den einen Sport, aber keiner Verordnung für einen zusätzlichen Sport. Oder Nicht-Mitglieder, die nur Reha-Sport mit Verordnung betreiben.“

KLINGT KOMPLIZIERT?

Ist es auch. Bei diesem Wust an anspruchsvollen Aufgaben sind Mitarbeiterinnen, die sich bis in kleinste Antragsdetails auskennen, Gold wert. Und was der BSG Dülmen wegen seiner besonderen Klientel gleichermaßen wichtig ist: Ihre Geschäftsstelle ist täglich besetzt. Die Konstruktion, die dahintersteckt, funktioniert so: Es gibt drei geschäftsführende Vorstände, die von den Mitgliedern gewählt werden und einen erweiterten Vorstand, zu dem auch Silke und Heike gehören, die jedoch nicht gewählt werden. Denn die Satzung sieht vor, dass sich der Vorstand nach Bedarf und/oder projektbezogen von weiteren Personen unterstützen lassen darf. „Die beiden kümmern sich um die Mitgliederverwaltung, den gelben Postverkehr und die E-Mails, die Krankenkassenverordnungen und die Statistiken. Kontovollmacht haben sie nicht, treffen aber viele Ablauf-Entscheidungen eigenverantwortlich.“
Wie refinanzieren sich die beiden Hauptberuflerinnen? „In unserem Fall über die Einnahmen des Vereins: Mitgliedsbeiträge und Krankenkassenzuschüsse.“ Nun, aber so arbeitet nicht jeder Verein – ist für den üblichen Breitensportverein eine bezahlte Mitarbeit nötig und refinanzierbar? Holger Schmidt ist deutlich: „Definitiv ja. Eine Entlastung des Vorstandes hilft jedem Verein. Es gibt immer weniger Menschen, die die Fachkenntnis und die ehrenamtliche Motivation haben, eine Geschäftsstelle zu bespielen. Bezahlte Mitarbeit lohnt sich! Wenn ich jemanden auf 520-Euro-Basis einstelle, kostet mich das rund 680 Euro. Die Mitglieder müssen also einen bis maximal zwei Euro mehr bezahlen – dann steht der Verein aber auch wirklich besser da.“ – Vom Hohelied über Silke und Heike in den Alltag der deutschen Sportvereine. 14 Prozent der Vereine bezeichnen das Fehlen von ehrenamtlichen Funktionsträgern als existenzielles Problem (Sportentwicklungsbericht 2020-2022). Zwar sind Ehrenamtliche oftmals (noch) da, können sich aber vor lauter zeitfressenden Verwaltungsaufgaben kaum mehr um die Vereinsentwicklung kümmern.

DIENSTLEISTER FÜR DAS EHRENAMT

Bezahlte Mitarbeit könne das Ehrenamt entlasten, meint Vereinsberater Patrick Busse. Wie ein Verein dies ausgestalte, sei eine individuelle Grundsatzentscheidung: „Suche ich Unterstützung bei den Verwaltungsaufgaben? Oder möchte ich mir eine junge dynamische Person holen, die dann auch Raum zum Gestalten braucht?“ Die Entscheidung für eine bezahlte Mitarbeit muss immer in den Vereinsentwicklungsprozess eingebunden sein. Wo braucht der Verein eine helfende Hand? Welche Dienstleistungen soll die Hauptberuflichkeit erbringen? Welche Kompetenzen fehlen dem Verein, die er mit einer hauptberuflichen Kraft aufbauen kann? Welche Rolle hat das Ehrenamt inne, welche das Hauptamt? Und wer kontrolliert die*den hauptberufliche*n Mitarbeiter*in? „Und dann muss eine geeignete Person gefunden werden. Anders als im Ehrenamt kann man über übliche Jobportale suchen, etwa nach Sport- und Fitnesskaufleuten. Die Berufsbilder sind da, allerdings wünschen die meisten Jobsuchenden eine hohe Teilzeitstelle oder eine Vollzeitstelle.“ Einen Minijob bekommt man am besten über lokale Suche oder über das Vereinsumfeld besetzt. Und dann beginnt die Einarbeitung.
„Das braucht Zeit und viel Abstimmung“, sagt Busse und verweist auf die Qualifizierungsmaßnahmen des LSB. Einigen Vereinen mag die Rolle des Arbeitgebers noch fremd sein: Unterstützung bekommen sie über die Vereinsberatung des Landessportbundes oder über das Informationsportal VIBSS
( vibss.de/vereinsmanagement/bezahlte-mitarbeit).

FÖRDERPROGRAMME RECHERCHIEREN

Auch Patrick Busse meint, dass schon mittlere Vereine Hauptberuflichkeit finanzieren können. Einmal über Zusatzangebote, die eine bezahlte Kraft organisieren kann: zusätzliche Kurse, Kooperationen im Ganztag oder mit Firmen, Kindergeburtstage, Sportreisen. Dann durch ein Fördermanagement im Verein, das Programme recherchiert, beantragt, Verwendungsnachweise bearbeitet. Busses Hinweis: Bei einigen Förderprogrammen können auch Personalkosten angesetzt werden. Natürlich über Sponsoring und Fundraising – ja, das ist zeitaufwändig, kann aber eine bezahlte Mitarbeiter*in refinanzieren. Zuletzt – klar – durch höhere Mitgliedsbeiträge. Und ebenso wie Holger Schmidt veranschlagt Patrick Busse lediglich den berühmten Euro, der für höhere Qualität in der Abwicklung führe, mehr Professionalität, eine intensivere Vereinsentwicklung und so weiter.
Zuletzt: Bezahlte Mitarbeit bedeutet nicht unbedingt eine festangestellte Person im Verein selbst! Die bezahlte Dienstleistung kann auch extern erbracht werden. Warum nicht zum Beispiel ein Catering buchen, wenn niemand mehr backt und grillt? Auch hier gilt: Die Mehrkosten müssen reingeholt werden. „Aber wenn der Vorstand sich auf sein Kerngeschäft fokussieren kann, sind die Möglichkeiten da.“

Quelle: https://magazin.lsb.nrw/ausgabe/2023/07/0021.html

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